Gemaule einer Linkhänderin

Ich bin Linkshänderin. Schon immer. Familienerbstück. Mein Opa war Linkshänder, meine Mutter, meine Schwester und einer meiner Neffen sind linkshändig. In der Grundschule hatte ich eine sehr alte Lehrerin, die mich zwang, mit meiner rechten Hand zu schreiben. Sobald sie mir den Rücken zukehrte, nahm ich meinen Stift schnell wieder in die linke Hand. Denn damit konnte ich einfach besser schreiben. Damals verstand ich noch nicht so recht, was eigentlich los war, war aber doch recht stinkig, als ich einmal von der Lehrerin einen Klaps auf die Finger bekam. Sie hatte mich beim Linksschreiben erwischt.
Nach einem Gespräch mit meinem Eltern erlaubt sie mir schließlich mit der „bösen“ linken Hand zu schreiben.
Schreiben mit links ist lästig. Benutzt man Tinte, so muss man ständig auf der Hut sein, diese beim Verschieben der Hand auf dem Blatt nicht zu verwischen. Wir Linkshänder*innen müssten den Stift ja eigentlich von links nach rechts über das Blatt schieben. Da dies zu sehr unschönen Ergebnissen führt, verkrampfen die meisten Linkshänder*innen ihre Hand in völlig unnatürlicher Stellung, um den Stift trotzdem ziehen zu können. Das ist extrem ermüdend und ich schreibe daher nur sehr ungern mit der Hand.

Angeblich sind wir schlauer. Geht man diesem Gerücht näher auf den Grund, stellt man leider schnell fest, dass dies eigentlich gar nicht stimmt. Genauer gesagt, denken wir anders als Rechtshänder*innen. Dies führt dazu, dass wir bei vielen Dingen ungewöhnlichere, häufig eher unkonventionelle oder auch kreativere Herangehensweisen wählen. So ist mir schon oft in Diskussionen aufgefallen, dass ich ein Problem von einer völlig anderen Seite betrachte als der Rest der rechtshändischen Anwesenden. Meine 5 ist immer blau, die 3 ist immer gelb, die 4 ist manchmal rot. Die restlichen Zahlen haben keine Farben. Schade eigentlich, denn dann wäre ich vermutlich besser in Mathe. Ob das mit meiner Händigkeit zu tun hat, konnte mir jedoch bislang niemand erklären. Wenn möglich, setze ich mich auf die linke Seite einer Person. Vor allem beim Essen komme ich dann dem Ellbogen der anderen Person dadurch nicht ins Gehege.
Angeblich leben wir Linkshänder*innen kürzer. Dies liegt daran, dass das Denken mit der anderen Hirnhälfte offenbar mit einer höheren Risikobereitschaft einhergeht. Wir trauen uns mehr zu und bringen uns dadurch häufiger in Gefahr.

Und bei klinischen Studien, zumindest aus dem Bereich der Neurowissenschaften oder Neurogenetik kommen wir fast nie zum Zuge. Warum? Weil wir nicht der Norm entsprechen und somit die Daten durcheinanderbringen würden. Schöner wäre es, zu sagen, dass wir 10% der Population ausmachen und somit zum Normalbereich der humanen Vielfältigkeit (Diversität) gehören. Sprachwissenschaftler*innen schließen linkshändige Proband*innen normalerweise aus, damit die Studienergebnisse gleichförmiger ausfallen. Ähnliches geschieht im Bereich des so genannten Neuroimaging, also der Darstellung des Gehirns in verschiedenen bildgebenden Verfahren. Es wird versucht, Personen mit umgekehrter Seitigkeit (Lateralisierung) auszuschließen, um die Varianz zwischen den einzelnen Personen zu verringern, da dies die statistische Sensitivität negativ beeinflussen könnte.

Meiner Meinung nach ist dies eine bewusste Verfälschung der Realität sowie Beeinflussung/Homogenisierung der Forschungsergebnisse.

Kürzlich las ich einen sehr schönen Übersichtsartikel über die menschliche Händigkeit (Quelle: Frayer DW et al. Laterality 2012). An dieser Stelle möchte ich die interessantesten Punkte kurz zusammenfassen.

Nur ungefähr 10% aller Menschen sind so genannte Linkshänder*innen, der Rest bevorzugt die rechte Hand. Dies kann bereits bei Babies ab dem Zeitpunkt des Greifens beobachtet werden. Erst im 6. Lebensjahr zeigt sich allerdings eine klare Bevorzugung (Quelle: Scharoun SM and Bryden PJ Front Psychol 2014). Interessanterweise scheint es die Bevorzugung der rechten Hand nur im Menschenreich zu geben. Bei Affen lässt sich zwar ebenfalls eine Festlegung auf eine Lieblingshand beobachten, jedoch benutzen im Affenreich immerhin knapp 50% der Tiere die linke, und der Rest die rechte Hand. Die meisten Tiere können mit beiden Händen arbeiten.

Bereits in der Steinzeit kann man anhand der bis heute erhaltenen Werkzeuge sowie an Höhlenmalereien die Dominanz der Rechtshändigkeit erkennen. Und auch Untersuchungen an prähistorischen Zähnen bestätigen, dass die Richtung der Schleifspuren der Zähne auf ein Halten der Nahrung in der rechten Hand hinweisen. Der tatsächliche prozentuale Anteil der Rechtshänder*innen zu damaligen Zeiten lässt sich hieraus natürlich nicht errechnen.

Rechtshändigkeit setzt eine Dominanz der linken Gehirnhälfte voraus. Bei Linkshändigkeit dagegen kann die dominante HIrnhälfte rechts oder links liegen. Interessanterweise ist bei den meisten Menschen (90%) auch das Sprachzentrum in der linken Hirnhälfte ausgeprägt. Von einigen Wissenschaftlern wird daher ein Zusammenhang zwischen der menschlichen Dominanz der Rechtshändigkeit mit der Fähigkeit zur Sprachbildung in Zusammenhang gebracht. Wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Lateralisierung, also die Bevorzugung einer Gehirnhälfte bereits vor mindestens 500.000 Jahren stattfand, könnte dies bedeuten, dass die Fähigkeit zur Sprache ebenfalls vor sehr, sehr langer Zeit entstanden sein könnte, nicht erst in der neueren Zeit.

Es gibt sicherlich noch viel Interessantes zu diesem Thema zu schreiben, doch nun muss ich mir erstmal einen Kartoffelschäler für Linkshänder*innen bestellen…echt wahr 😉

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