Jetzt spinnt sie vollkommen!
Nein, das Tier, über welches ich hier schreibe, gibt es tatsächlich. Hier ist der Name Programm, die Rede ist nämlich vom Bombardierkäfer (lateinisch: Brachinus explodens). Dieser kleine Käfer ist noch nicht einmal 1 cm lang, daher die Bezeichnung Brachinus (griechisch: brachýs=kurz) und kommt in Süd- und Mitteleuropa, aber auch in Asien vor.
Dieser Käfer ist eine biologische Wunderwaffe!
Korrekterweise muss man an dieser Stelle erwähnen, dass es außer dem Brachinus explodens auch noch weitere Vertreter der Bombadierkäfer gibt, die in der Lage zu Schüssen dieses Ausmaßes sind. Mir gefällt der Kleinste aus der Riege jedoch am besten.
Mit viel Liebe beschreibt Pastor Wilhelm das kleine Kerlchen in seinen 1796 erschienenen „Unterhaltungen aus der Naturgeschichte der Insecten, erster Theil“:
„So wie die mütterliche Natur den Geschöpfen mannigfaltige Waffen gegen ihre Feinde gab; so hat sie auch diesen Käfer mit einem ganz eigenen Verteidigungsittel ausgerüstet. Er läßt nämlich seinen Verfolgern, deren er unter den Laufkäfern manchen hat, einen bläulichen Dunst, den ein ziemlicher Gestank und Knall begleitet, ins Gesicht. Erschrocken, wir wissen nicht, ob über den Schuß, oder über den Gestank, rennt sein Feind davon.
…Läßt man sie gegen einen Spiegel feuern, so bekommt er einen Dampfflecken. Leute, die sehr gut hören, sehen, und fühlen können, weil sie immer ihre Einbildungskraft zu Hülfe nehmen, vergleichen den Schuß mit dem Knall eines Pistols, glauben Pulver zu riechen und eine gewisse Wärme zu fühlen…
…Es müßte äußerst unterhaltend seyn, die ganze Einrichtung genau zu kennen. Gewiß würden wir auch da, wie bey allen Werken des Schöpfers, uns des Erstaunens über die Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Verbindung der verschiedenen Elemente nicht enthalten können.“
Herrlich, oder? Mir geht bei diesen Beschreibungen das wissenschaftliche Herz auf. Und nun kommen wir mal zum wie, weshalb, warum.
Dieses kleine Käferchen enthält in seinem Hinterleib eine Blase, die von einer Chitinkapsel umgeben ist. Letztere ist auch dringend notwendig. Ansonsten würde ihm diese Blase nämlich bei jeder Abwehr um die Ohren fliegen.
Wie zum Kuckuck kann denn nun in einem so kleinen Lebewesen ein Gemisch solcher Durchschlagskraft erzeugt werden? Im Jahre 1961 haben sich zwei Chemiker der Uni Erlangen näher mit der Thematik beschäftigt. Das ausgestossene Gas liegt in der Blase zunächst in flüssiger Verbindung vor. Die Blase enthält neben Wasserstoffperoxid hauptsächlich Hydrochinon und Toluhydrochinon in etwa 10%iger Lösung. Unter Mischung mit Katalase zerfällt dies zu Sauerstoff, Wasser und p-Benzochinone (Quelle: Schildknecht H und Holoubek K. Angewandte Chemie, 1961).
Der Nachweis von Hydrochinon als Vorstufe für die vom Bombardierkäfer erzeugten Chinone wurde im Übrigen bereits im 19. Jahrhundert von Dumeril erbracht: Er zerdrückte die Blase des Käfers auf der Zunge und stellte fest, dass diese kurze Zeit angenehm schmeckte, dann aber ein Brennen im gesamten Mund hervorrief. Hydrochinon schmeckt nämlich süss, während Chinone ein eher Pfeffer-artiges Aroma tragen (Quelle: Dumeril MC. Acad Sci Inst Imp France, 1860).
Kommen wir nun zum Schußmechanismus
Außer der Blase, in der das oben beschriebene Gemisch flüssig vorliegt, besitzt der kleine Kerl noch einen Reaktionsraum, also genau genommen eine Explosionskammer, die durch eine kleine Klappe von der Blase abgetrennt ist. Beim Schießen öffnet sich diese Klappe und das Sekret aus der Blase tritt in die Reaktionskammer ein. Unter Hinzugabe von Katalase und Peroxidase als notwendigen Katalysatoren kommt es dann zu einer Oxidation von Hydrochinon zu giftigem 1,4-Benzochinon und Aufspaltung des Wasserstoffperoxids zu Wasser und Sauerstoff. Und fertig ist die Explosion! Das entstehende Gas liefert den zum Schießen (Ausschleudern und Zerstäuben der Chinone) nötigen Druck. Ausgestossen wird nun ein ätzendes, bis nahezu 100 Grad °C heisses Gasgemisch. Bei einer Reaktion kommt es noch lange nicht zum Verbrauch sämtlicher Chemikalien. Das heisst, der Bombardierkäfer ist in der Lage, mehrmals hintereinander zu schießen. Da der Hinterleib beweglich ist, kann das Käferchen gezielt, bzw. sogar um die Ecke schießen.
Faszinierend ist zudem die Tatsache, dass dieses kleine Wesen offenbar in der Lage ist, größere Mengen des nicht unerheblichen Zellgiftes Wasserstoffperoxid zu „lagern“, ohne davon Schaden zu nehmen.
Ich verneige mich in Ehrfurcht vor diesem Wunder der Natur!
2 Responses
Liebe Maria;
Ich habe den Artikel über den interessanten Käfer gelesen, es macht alles Sinn, die 100 ° C bezweifele ich aber für das Reservoir, eine so hohe Temperatur könnte nur sporadisch auftreten, was ein sehr schnelles Hochheizen in einem Mikroreaktor verlangt. Grundsätzlich sollte so etwas möglich sein für kurze Zeit.
Viele Grüße
KHB
Vielen Dank an KHB!
Er ist Atmosphärenchemiker und emeritierter Ordinarius für physikalische Chemie.
Ich hatte ihn um Begutachtung meines Beitrags gebeten.